Wenn Birgit Siemon eine Pokemon-Karte zieht, geht es gar nicht immer um das kleine gelbe Fantasiewesen. „Wir machen Mathe“, sagt die Diplom-Sozialpädagogin und erzählt vom spielerischen Lernen mit allen Sinnen. „Wir entdecken Alltägliches neu und nutzen es, um Schulaufgaben zu verstehen.“ Dass es mehr als 890 Pokemon gibt, hat Birgit Simon von den Kindern erfahren. „Sie lernen von mir und ich von ihnen. Es bleibt immer spannend.“
Seit 1991 gibt es die Tagesgruppe, die später den Namen „Koboldhütte“ erhielt und heute Teil des FamilienkompetenzZentrums der ASB Kinder- und Jugendhilfe (ASB KJH) in Rostock-Lichtenhagen ist. Insgesamt 16 Mädchen und Jungen im Alter zwischen 6 und 13 Jahren kommen montags bis freitags nach der Schule hierher. Es gibt Mittag, danach werden die Hausaufgaben erledigt. „Wir sind für die Kinder da, hören ihnen zu, verbringen gemeinsam den Nachmittag, vermitteln einen strukturierten Tagesablauf“, erzählt Birgit Siemon, die seit 1995 in der Tagesgruppe arbeitet. Neben besonderen Freizeitaktivitäten wie Keramikarbeiten und Nähen werden innerhalb der pädagogischen Arbeit auch die Möglichkeiten des Tierbauernhofes von IN NATURA genutzt.
Anlässlich des Jubiläums, das eigentlich schon im vergangenen Jahr stattfand, wegen der Corona-Pandemie aber nicht mit Gästen gefeiert werden konnte, hat sie in einem Album mit alten Zeitungsausschnitten geblättert. „Vieles hat sich im Laufe der Zeit verändert. Früher gab es nachmittags oft Kekse und Tee. Heute machen wir täglich gemeinsam Kuchen, Salate oder Pizza. Die Kinder lieben es, und wir vermitteln mit Kochen und Backen gleichzeitig alltagspraktische Fähigkeiten. Wir haben auch einen kleinen Garten, in dem wir pflanzen und ernten.“ Die Eltern habe sie früher nur ganz selten beim Abholen oder im Hilfeplangespräch im Jugendamt gesehen. „Jetzt arbeiten wir familienaktivierend, die Eltern können am Alltag der Tagesgruppe teilnehmen, sich einbringen und werden so in ihrer Verantwortung unterstützt“, sagt Birgit Siemon. Hier erleben sie, wie auch schwierige Situationen zu bewältigen sind. Ziel ist es, die Eltern mit ihren Kindern über einen gewissen Zeitraum zu begleiten und sie zu stärken, damit die Kinder in ihren Familien verbleiben können. Verantwortung in der Erziehung ihrer Kinder zu übernehmen, lernen Mütter und Väter auch beim Unterstützungsangebot „MAP“. Die Einrichtung ist mit dem Neubau des FamilienkompetenzZentrums aus den früheren Angeboten „Marlene“, „Pauline“ und „Anfang“ entstanden und nach deren Anfangsbuchstaben benannt worden. Bei „MAP“ werden Chancen eröffnet, eigene Lebensentwürfe zu entwickeln, sich auszuprobieren und die Persönlichkeit so zu stärken, dass sie danach dauerhaft und selbstständig mit ihren Kindern zusammenleben können. „Bei uns wohnen Mütter oder Väter im Schnitt ein bis drei Jahre“, erzählt Karin Neumann. Die Erzieherin ist seit 1995 beim ASB beschäftigt, im zweiten und dritten Berufsleben „Ich bin gelernte Schiffsköchin, habe hier als Hauswirtschaftskraft angefangen und dann nochmal die Schulbank gedrückt und die Ausbildung zur Erzieherin absolviert.“ 2006 kam Karin Neumann ins Mutter/Vater-Kind-Projekt. 18 Alleinerziehende und ihre Kinder leben in der Einrichtung in Zwei-Zimmer-Apartments. Die große Gemeinschaftsküche ist der Mittelpunkt; hier wird zusammen gekocht, gelacht, gelebt. „Bei uns ist es sehr familiär. Wenn eine Familie einzieht, heißen wir sie immer mit einem Frühstück willkommen.“ In Kursen, den sogenannten Modulen, wird den Erwachsenen Erziehungswissen und Sozialkompetenz vermittelt. „Viele sind unsicher, wissen nicht, wie sie die Kinder versorgen sollen und brauchen Unterstützung. Einige wissen nicht, was Mütterlichkeit bedeutet, weil sie sie als Kind selbst nie erfahren haben.“ Auch Eltern mit psychischen Erkrankungen oder körperlichen Beeinträchtigungen werden begleitet. „Das A und O unserer Arbeit ist die Beziehung“, sagt Karin Neumann. Manchmal brauche es mehrere Monate, bis die Mütter und Vater Vertrauen fassen. „Man muss ehrlich mit ihnen sein und ihnen auf Augenhöhe begegnen. Nur so kann es gelingen.“ Karin Neumann liebt ihren Job: „Man braucht ein sonniges Gemüt, aber ich denke immer positiv. Und wenn sich Erfolge einstellen, weiß man, wofür man gearbeitet hat.“ Höhepunkt ist jedes Jahr die gemeinsame Urlaubsfahrt, die z.B. im Juni 2022 nach Schwerin führte.
Als „Ableger“ von MAP ist vor 15 Jahren L.i.V. - Leben im Verbund entstanden. Die kleine Pflanze ist gewachsen. „Wir betreuen geistig und körperlich beeinträchtigte Mütter und Väter mit ihren Kindern in ihrer eigenen Häuslichkeit ambulant“, erzählt Paula Rönnfeldt. Die Sozialpädagogin gehört seit 2020 zum Team von L.i.V. „Bei uns ist kein Tag wie der andere. Wir gestalten mit den uns anvertrauten Familien deren Alltag.“ In der Eingliederungshilfe sind die Angebote breit gefächert und individuell auf die Bedarfe der Familien zugeschnitten: Ein- oder zweimal die Woche findet beispielsweise eine betreute Hausaufgabenzeit für die Kinder statt, gemeinsam werden Freizeitaktivitäten gestaltet und Ferienangebote realisiert. Derzeit betreut L.i.V. in der Hansestadt 28 Familien. „Ziel ist immer, das Familiensystem zu erhalten, damit die Kinder bei ihren Eltern leben können.“ Eltern erhalten Unterstützung, Beratung und Hilfe bei einer möglichst selbständigen Lebensführung und Wahrnehmung der Elternrolle durch passgenaue und individuelle Hilfen. Das Team von L.i.V. unterstützt je nach den Bedarf in den Bereichen persönliche Assistenz, einfache und qualifizierte Elternassistenz und als sozialpädagogische Familienhilfe. „Wir laden regelmäßig zum Elternfrühstück und Elterncafé ein - ein Treffpunkt, um über aktuelle Anliegen zu sprechen, sich auszutauschen und festzustellen, dass man nicht allein ist“, sagt Paula Rönnfeldt.
Ob Tagesgruppe, „MAP“ oder L.i.V. - alle Hilfen müssen vorab beim Amt für Jugend, Soziales und Asyl der Hansestadt oder des Landkreises Rostock beantragt werden.
Bei einem gemeinsamen Geburtstagsfest wollen die Mitarbeiter*innen der drei Einrichtungen der ASB Kinder- und Jugendhilfe am Donnerstag, 30. Juni 2022, auf dem Hof des FamilienkonpetenzZentrums in der Schleswiger Straße feiern. Alle Kinder und Eltern, die in der Tagesgruppe, bei „MAP“ oder durch L.i.V. betreut werden, sind an diesem Nachmittag eingeladen, gemeinsam sorgenfreie Stunden zu verbringen.
Foto: Wunschik/ASB KJH