Die Erziehungsstellen der ASB Kinder- und Jugendhilfe

Kindern Halt und ein Zuhause geben

„Ein Pflaster, bitte.“ Auf dem Bein ist keine Schramme und trotzdem wird es immer weiter beklebt. „Noch eins.“ Geduldig bringt Hubertus Wunschik die gewünschten (Trost)Pflaster ins Kinderzimmer. Das Schutzpapier macht Colin allein ab. „Sonst ist es entwertet und muss weggeschmissen werden.“ Hubertus Wunschik lacht. „Er hat einen starken Willen. Wenn sich Colin etwas in den Kopf setzt, dann muss es auch so passieren.“ Das Einschlafen fällt dem kleinen Jungen meist schwer. Pflaster bringen, die Hand halten, eine warme Milch machen - manchmal ist Hubertus Wunschik mehrere Stunden mit dem abendlichen Ritual beschäftigt. „Dann auch mal eine Grenze zu setzen - das tut einem selbst wohl mehr weh, als dem Kind, gehört aber zur Erziehung dazu“, sagt er. „Vor ein paar Tagen hab ich ihm gesagt, jetzt sei Schluss, er solle schlafen. Dann hat er meine Frau gerufen und sich beschwert, dass ich ihn geärgert hätte.“

Colin lebt in der Erziehungsstelle von Hubertus Wunschik und wächst dort in der Familie zusammen mit der leiblichen Tochter des Diplom-Sozialarbeiters auf. „Er kam zu uns, als er sieben Wochen alt war, weil seine Mutter sich nicht um ihn kümmern konnte. Im Januar ist er drei Jahre alt geworden und hält uns ordentlich auf Trab.“ 

Wenn Kinder und Jugendliche für eine unbestimmte Zeit nicht mehr bei ihren Eltern leben können, sind Erziehungsstellen eine Alternative zu Wohngruppen. Aktuell gibt es in der ASB Kinder- und Jugendhilfe (ASB KJH) in der Hansestadt und im Landkreis Rostock neun Erziehungs- und zwei Vertretungsstellen, in denen insgesamt elf Kinder betreut werden. Susann Huth, Leiterin des Erziehungsstellenverbundes, möchte das Angebot ausbauen und ist daher auf der Suche nach Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen und Heilpädagog*innen, die diese familienanaloge Wohnform in ihrem eigenen Haushalt anbieten möchten. „Wir haben sehr viele Anfragen von den Jugendämtern, können aber leider nicht alle Kinder vermitteln, weil uns die Fachkräfte dafür fehlen“, sagt Susann Huth. Die „Profi-Eltern“ müssen fachliche Qualifikationen mitbringen und die räumlichen Voraussetzungen stimmen. Denn neben der pädagogischen Ausbildung muss in der Wohnung oder im Haus für jedes Kind ein Rückzugsort vorhanden sein.

„Wenn ich mehr Platz hätte, würde ich noch ein Kind aufnehmen“, sagt Anne Hanelt. Als gelernte Erzieherin arbeitete sie früher in einer Kita, dachte über ein Pflegekind nach. „Eine Kollegin hat mich dann darauf aufmerksam gemacht, dass ich beides verbinden und beruflich ein Kind in der eigenen Häuslichkeit betreuen könnte.“ Bei einer Informationsveranstaltung des ASB lernte sie im Sommer 2018 den Erziehungsstellenverbund kennen. Ihr Mann und die beiden Söhne – damals sieben und 14 Jahre alt - waren von Anfang an eingebunden. „Sonst geht es auch nicht. Die Familie muss voll dahinter stehen“, sagt Anne Hanelt und ist überzeugt: „Auch wenn es nicht immer einfach und manchmal sehr emotional ist – die leiblichen Kinder profitieren davon.“ Beispielsweise seien die sozialen Kompetenzen ihrer Jungs durch die gemeinsame Erfahrung einer Erziehungsstelle in den eigenen vier Wänden deutlich gestärkt.

„In der Erziehungsstelle können wir ganz individuell auf die Kinder eingehen und ihnen ein Bild von Familie vermitteln“, sagt Tanja Schubert. „Ich bin da, wenn sie aus der Schule kommen, bin ihre feste Ansprechpartnerin im Alltag. Sie sind immer dabei, erleben, wie man lebt, liebt und lacht - oder auch mal streitet und sich wieder verträgt, sich für etwas entschuldigt, dem anderen verzeiht. Das ganz normale Leben eben.“ 

Tanja Schubert hat ihre Erziehungsstelle seit zehn Jahren. „Meine Mutter hat das schon gemacht. Ich bin damit aufgewachsen und fand es immer toll“, erzählt sie. Nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin arbeitete sie zunächst in verschiedenen Wohngruppen, später auch im Mutter-Kind-Projekt. „Für mich war früh klar, dass ich flexible Arbeitszeiten haben möchte, gern auch im Schichtdienst arbeite und dafür in der Woche mal einen freien Tag habe.“ Zurzeit leben zwei Mädchen bei Tanja Schubert. Wenn sie selbst Urlaub hat, übernimmt Grit Voß die Betreuung in einer Wohnung des ASB. „Zu mir kommen die Kinder meist an einem Wochenende im Monat und während der Urlaubszeit. Ich habe hier eigentlich den besten Job, darf Freizeitangebote realisieren, muss mich nicht vordergründig um die Erziehung kümmern und darf ein bisschen verwöhnen. So wie eine Oma“, erzählt Grit Voß.

Die Kinder und Jugendlichen, die in einer Erziehungsstelle leben, erfahren feste Strukturen, die ihnen Halt geben. „Oft sind sie sehr empfindsam, mit wechselnden Ansprechpartnern überfordert und für das Leben in einer stationären Hilfeform wie einer Wohngruppe nicht gewachsen“, sagt Susann Huth. Da die Kinder meist eine besondere Biografie und schon sehr viel erlebt haben, könnten auch klassische Pflegefamilien nicht immer leisten, was tatsächlich gebraucht wird. „In unseren Erziehungsstellen sind wir für Kinder und Jugendliche da, die emotional und sozial schwierige Bedingungen durchleben und daher eine besonders intensive Betreuung benötigen.“ Von Beginn an wird der Kontakt zu den Herkunftsfamilien gewahrt. Dazu kommt die Organisation rund um schulische Belange, Gesundheitsfürsorge, die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt… 

„Wie mit leiblichen Kindern ist es nicht immer einfach, sie fordern einen manchmal sehr. Aber diese Arbeit ist wirklich sinnstiftend und ich möchte sie nicht mehr missen“, sagt Hubertus Wunschik.